Feminismus muss antikapitalistisch und materialistisch sein

Feministische Anliegen und Theorien sind in den letzten Jahren enorm in Bedrängnis geraten. Die Übernahme identitätspolitischer Ansätze hat zu einer großen Verwirrung in Bezug auf die Begriffe Geschlecht, Selbstbestimmung und letztlich Frau geführt. Mit der Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes droht der größte Angriff auf Frauenrechte seit Bestehen der Bundesrepublik.

Aufgabe einer linken Partei muss es sein, die Interessen von Frauen in einer von Ausbeutung und Diskriminierung geprägten kapitalistischen Welt zu vertreten. Die Grundlage dafür kann nur eine materialistische Analyse dessen, was eine Frau ist, sein. Wir stellen uns gegen die Umdeutung feministischer Anliegen und rufen die Partei Die Linke und alle linken Akteure dazu auf, zu einem entschlossenen feministischen Profil zurückzukehren.

I. DIE DEFINITION EINER FRAU

Die Wirklichkeit findet nicht im Bewusstsein von Menschen statt. Sie ist eine davon unabhängige Tatsache. Dies gilt für die Frage des Geschlechts eines Menschen ebenso wie für objektiv bestehende Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse beispielsweise in der Prostitution, aber auch in Fragen der Kunst und Kultur.

Eine Frau ist eine erwachsene menschliche Person, deren Körper auf die Produktion von Eizellen als Geschlechtszellen ausgerichtet ist und die deshalb im Fall der menschlichen Fortpflanzung die Aufgabe der Schwangerschaft und Geburt innehat. Auf dieser körperlichen Realität basiert die jahrtausendealte Unterdrückung von Frauen, die durch das Interesse von Männern an der Kontrolle der Nachkommen und Erbschaft motiviert war und durch die Ausgrenzung der Frauen von Besitz entstand.

Auf der Anerkennung der Frau als biologisch weiblichem Individuum basieren ebenfalls ihre hart erkämpften Rechte.

Der Ansatz, die Geschlechtsfeststellung über eine Eigenaussage, ein inneres Gefühl oder die Persönlichkeit statt der körperlichen Anlage sozial und/oder rechtlich zu ermöglichen, ist Kernelement der Transrechtsbewegung, die innerhalb der politischen Linken hegemonial geworden ist. Sie verfestigt damit sexistische Rollenbilder. Gesellschaftlich weiblich attributierte Angewohnheiten im Aussehen oder Verhalten sind nicht angeboren, sondern zur Kleinhaltung und Objektivierung von Mädchen und Frauen sozial geschaffen. Werden sie zur eigentlichen Essenz des Weiblichen erklärt, werden Frauen auf Stereotype reduziert, deren Abschaffung lange erklärtes Ziel feministischer Anstrengungen ist.

Geschlechtliche Selbstdefinition legt außerdem die Grundlage für die Zerstörung weiblicher Rechte. Wird die körperliche Geschlechtsdefinition in Frage gestellt, verlieren sowohl die Erkenntnis der sozialen Lage der Frau in der kapitalistischen Gesellschaft als auch ihre daraus abgeleiteten Rechte und ein progressives politisches Programm ihre Grundlage. Der Versuch, Geschlecht auf Basis einer Selbstauskunft rechtlich und sozial zu definieren, ist deshalb nicht nur ein Angriff auf die Wahrheit, sondern auch ein Angriff auf die Rechte der Frau.

II. DIE TRANSRECHTSBEWEGUNG IST EINE MÄNNERRECHTSBEWEGUNG UND NICHT LINKS

Menschen, die an Geschlechtsdysphorie leiden und als Transsexuelle den Weg zu einer äußerlichen Angleichung an das andere Geschlecht suchen, sind in vielen Ländern unterschiedlichen Formen der Diskriminierung und Unterdrückung bis hin zu schwerer körperlicher Gewalt ausgesetzt, die von Linken klar bekämpft werden muss. Der wichtige Einsatz gegen die Diskriminierung von Transsexuellen darf aber nicht zulasten der hart erkämpften Rechte von Frauen gehen. Wesentliche Teile der Transrechtsbewegung richten ihre Aktivitäten jedoch heutzutage in Angriffe auf Frauen vorbehaltene Räume, auf das Recht von Frauen, Grenzen zu setzen, und auf die sprachliche Unsichtbarmachung von Frauen.

Der Grundsatz, auch Männern per Selbstidentifikation zu erlauben, als Frau behandelt zu werden, öffnet Tür und Tor für die Durchsetzung männlicher Interessen gegen Frauen, die schließlich überall dort begrenzt werden, wo aufgrund des weiblichen Geschlechts Regelungen bestehen. Wenn ein selbsterklärtes Geschlecht unter allen Umständen akzeptiert werden muss, weil der Hinweis auf das wahre Geschlecht mit dem Vorwurf der Transphobie diffamiert wird, heißt das, dass in Situationen von Interessenkonflikten das Interesse des Mannes durchgesetzt werden kann — weil er sich zur Frau erklärt.

In Sanitäranlagen, im Sport, in Gefängnissen, in der Frauenförderung durch Stipendien, Preise, Quoten etc. besteht ein Interesse von Frauen an einer separaten Behandlung. Wird ein Mann als Frau behandelt, kann er diese umgehen und sämtliche Errungenschaften zum Schutz und zur Förderung von Frauen besetzen.

Die geschlechtliche Selbstidentifikation hat deshalb nicht nur nichts mit linker Adressierung gesellschaftlicher Probleme zu tun, die materielle Realitäten anerkennt und auf deren Basis arbeitet, sondern ist Kern einer Männerrechtsbewegung, die die vollständige soziale und rechtliche Abschaffung weiblicher Grenzsetzungen zum Ziel hat.

III. PROSTITUTION IST UND BLEIBT SEXUELLE AUSBEUTUNG

Prostitution ist die sexuelle Ausbeutung und Verdinglichung von (meistens) Frauen. Die Grundlage der Prostitution besteht in ökonomischer oder psychischer Abhängigkeit der Betroffenen, einem dem organisierten Verbrechen zuzuordnenden gewalttätigen Zwangssystem sowie dem Kapitalismus, der die Erniedrigung der Frau zur Ware möglich macht.

Die allermeisten Frauen müssen sich unter erbärmlichen Bedingungen prostituieren, in denen Gewalt Alltag ist. Viele sind Ausländerinnen ohne Sprachkenntnisse und haben keine Möglichkeit, sich Unterstützung zu organisieren. Die Zustände in Bordellen, Agenturen und auf dem Straßenstrich sind menschenunwürdig. Umfangreiche Ausstiegshilfe (inklusive der öffentlichen Unterstützung bei der Suche nach Arbeitsplätzen) und ein Bleiberecht der Betroffenen müssen als erster Schritt dringend umgesetzt werden.

Prostitution hebelt das Konsensprinzip durch den Kaufhandel aus und ist damit bezahlte Vergewaltigung. Das Bewusstsein der betroffenen Frauen spielt bei dieser Tatsache keine Rolle. Lobbyistinnen, die behaupten, freiwillig und selbstbestimmt in der Prostitution tätig zu sein, bewegen sich dennoch in einer patriarchalen Welt, in der der Körper einer Frau zur Ware für Männer wird, die diese nach Bedarf benutzen und Frauen damit entmenschlichen. Ob die Frau eine Motivation besitzt, sich dieser Situation zu entziehen oder nicht, spielt für das dabei bestehende Machtverhältnis keine Rolle.

Die weitgehende Verunmöglichung von Prostitution durch eine Illegalisierung des Sexkaufs und die Bestrafung der Freier durch das Nordische Modell ist deshalb dringend notwendig. Der Schutz aller Frauen vor sexueller Ausbeutung und die Anerkennung einer Frau als menschliches, selbstbestimmtes Subjekt statt als unter Umständen zu erwerbender Ware geht vor die Freiheit der Berufswahl einer Handvoll Einzelpersonen.

Die Benutzung euphemistischer Wortschöpfungen wie „Sexarbeit“ lehnen wir ab, da sie über den eigentlichen Charakter von Prostitution gezielt hinwegtäuschen. Den Versuch, die Ablehnung des Prostitutionssystems mit einer Diskriminierung oder gar Ablehnung der prostituierten Frauen gleichzusetzen, weisen wir als durchschaubares Manöver der Bordelllobby zurück.

IV. ÖKONOMISCHE FRAGEN SIND ZENTRAL

In den letzten Jahren entstanden öffentliche Debatten um die Geschlechtergerechtigkeit, die von der Wurzel des Problems ablenken. Hierunter zählen vor allem die Kontroverse um geschlechtergerechte Sprache (Gendern), Frauenquoten in Aufsichtsräten und Lifestylefragen.

Die Unterdrückung von Frauen hat materielle Ursachen. Sie basiert auf der ungleichen Verteilung von Eigentum und vom Zugang zu Erwerbsarbeit. Frauen, die kein Vermögen besitzen, und nicht oder nicht in Vollzeit arbeiten können, sind zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes auf einen Mann angewiesen. Dieser erlangt dadurch die Macht über die Lebensumstände der Frau. Diese werden damit von (immer materiell begründeten) Machtpositionen ausgeschlossen und wenn sie Mütter sind dabei zusätzlich zur Erledigung der häuslichen Sorgearbeit benutzt.

Debatten über Geschlechterungleichheit müssen deshalb schwerpunktmäßig über den erschwerten Zugang von Frauen und insbesondere Müttern zu Vollzeitstellen sowie über die lohnbezogene Benachteiligung von Teilzeitstellen geführt werden, über die nach wie vor bestehenden Lohnunterschiede, und über die Verteilung häuslicher Arbeit.

Der Kapitalismus nutzt die kostenlose Erledigung dieser Arbeit zur Reproduktion der Arbeitskraft. Zur Befreiung der Frau aus dieser Zwickmühle muss das Eigentum an Produktionsmitteln ebenso wie die häusliche Fürsorgearbeit, wo möglich, vergesellschaftet werden.

V. FRAUEN HABEN RECHTE

Wir schließen uns der Labour Women’s Declaration, die genderkritische Genossinnen der britischen Labour Party veröffentlicht haben, an und halten die (auch politischen) Rechte von Frauen, die diesen zugestanden werden müssen, an dieser Stelle explizit fest.

1. Frauen und Mädchen sind auf der Grundlage ihres Geschlechts betroffen von Diskriminierung und Unterdrückung.

2. Frauen haben das Recht auf Glaubensfreiheit, freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit (Artikel 18, 19 und 20 der UN-Erklärung der Menschenrechte).

3. Frauen haben das Recht, Regeln und Gesetze, die sie betreffen, zu diskutieren, ohne eingeschüchtert, belästigt oder beschimpft zu werden.

4. Frauen haben das Recht auf geschlechtsbasierenden Schutz. Dazu gehören rein weibliche Räume wie Umkleidekabinen, Krankenhauszimmer, Sanitäranlagen, Schlafräume, Schutzräume, Frauenhäuser, Hostels und Gefängnisse.

5. Frauen haben das Recht an geschlechtlich getrenntem Sport teilzunehmen, um Fairness und Sicherheit auf allen Ebenen des Wettbewerbs sicherzustellen.

6. Frauen haben das Recht, sich in kulturellen, politischen, Freizeit- und Bildungsaktivitäten auf Basis ihres Geschlechts zu organisieren.

7. Wir verurteilen alle Versuche, die Rechte von Frauen, sich selbst zu organisieren, zu unterminieren oder zu begrenzen und rufen die Partei DIE LINKE und die Gewerkschaften auf, diese elementaren Freiheiten aktiv zu unterstützen.

FÜR EINEN MATERIALISTISCHEN, SOZIALISTISCHEN FEMINISMUS

  • Frauen sind erwachsene Menschen weiblichen Geschlechts, das heißt, ihre Körper sind auf die Produktion weiblicher Keimzellen ausgerichtet. Es gibt keine weibliche Geschlechtsidentität.
  • Frauen stellen im Kapitalismus eine unterdrückte, ausgebeutete und diskriminierte Gruppe dar.
  • Die Ursache dafür liegt in der materiellen Grundlage dieser Gesellschaft. Das private Eigentum an Unternehmen bedingt die Ausbeutung von Frauen.
  • Der Einsatz für ein Ende der weiblichen Unterdrückung muss auch ein Einsatz für die Vergesellschaftung wesentlicher Produktionsmittel und die Demokratisierung familiärer Fürsorgearbeit sein.
  • Prostitution ist und bleibt sexuelle Ausbeutung. Keine Willensbekundung, keine Absichtserklärung kann etwas daran ändern. Die Überwindung der Prostitution ist elementarer Bestandteil feministischer Bestrebungen. Der erste notwendige Schritt dafür ist die Freierbestrafung und Ausstiegsförderung für Prostituierte durch das Nordische Modell.
  • Die Rechte von Frauen auf eigene Räume und Sanitäranlagen sowie ihren eigenen Sport sind unverhandelbar und müssen gegen identitätspolitische Versuche, Männer in die Frauenkategorie hinein zu definieren, verteidigt werden.
  • Wir rufen die Partei DIE LINKE auf, im Einklang mit ihrem Programm den Kampf gegen die rückschrittliche Genderideologie aufzunehmen und sich an die Seite der Frauen zu stellen, die berechtigte Sorgen um die Abschaffung ihrer Rechte haben.

26.07.2023